Vom Eingangstor einer Weltstadt zum Zeichen für Partizipation
Der Bauherr der Villa Wiesental, Konrad Menet, wurde 1836 in Gais AR geboren und wuchs dort in bescheidenen Verhältnissen auf. Nach einer kaufmännischen Lehre in einer Textilfirma wanderte er 1859 nach Südamerika aus, wo er zuerst in Buenos Aires und ein Jahr später in Montevideo im Textilgeschäft arbeitete. Später gründete er seine eigene Firma Menet & Cie. Durch seinen wirtschaftlichen Erfolg als Unternehmer erlangte er auch eine politische Rolle – er wurde Schweizer Konsul in Montevideo und war damit für viele Emigrant*innen Ansprechperson und Unterstützer in «Nueva Helvecia» in Uruguay. Zahlreiche Schweizer*innen zogen in der Zeit der Industrialisierung aus der Schweiz weg und suchten ihr Glück in Übersee – so auch in Lateinamerika, wo die Staaten erst kürzlich ihre Unabhängigkeit erlangt hatten.
Konrad Menet war vom einfachen Bauernsohn zum erfolgreichen Unternehmer aufgestiegen. Er heiratete 1871 die Tochter seines einstigen Patrons, Johanna Tanner, und kehrte einige Jahre später in die Schweiz zurück. Hier war er Kirchenvorsteher und Bezirksrichter sowie Direktor der Bankenkommission der noch jungen, 1867 gegründeten St.Galler Kantonalbank, wo er das Hypothekargeschäft aufbaute. Zur gleichen Zeit stand die Stadt St.Gallen am Beginn ihrer prosperierendsten Zeit, als die Stickerei zum weltweiten Exportschlager wurde. Die Stadt wuchs in einem noch nie dagewesenen Masse.
Konrad Menet liess sich am Fuss des Rosenbergs, in unmittelbarer Nähe zum St.Galler Hauptbahnhof, eine Villa im Stil der französischen Neurenaissance erbauen. Frankreich war zu jener Zeit tonangebend in allen künstlerischen Belangen, der Architektur und der Kunst, aber auch in der Mode. Durch die Stilwahl gab der Bauherr zu erkennen, dass er sich zur obersten gesellschaftlichen Schicht zugehörig fühlt.
Die Villa Wiesental ist ein Zeugnis der sich anbahnenden Blütezeit der St.Galler Stickerei, die in einer entsprechend hochwertigen Architektur ihren Ausdruck fand. Sie zeugt aber ebenso von der St.Galler Migrationsgeschichte durch den Bauherrn selbst und seine Rolle als Unternehmer und Konsul in Südamerika, bei welcher die Begleitumstände wie die Sklaverei und Vertreibung von Einheimischen nicht vergessen werden dürfen.
Tagblatt.ch/SarahWagner
Weitere Informationen zum Weg der Vielfalt https://www.stadt.sg.ch/home/freizeit-tourismus/stgallen-entdecken/weg-der-vielfalt.html